„Mensch, mitte Erbschaft von Oma willste mit Aktien experimentieren? Da wird doch immer so viel Jeld verjuxt. Kind, tu‘ Dich lieber mit Onkel Hans-Dieter und Dein Vetter Theo zusammen. Die wollen doch ihr eigenet Restaurant aufmachen – dat ist doch wat Reellet. Steigste da mit ein! Der Hans-Dieter, der hat doch damals schon de Currywurstbude an Stadion jemacht, dat lief doch wie jeschnitten Brot!“
Klingt überzeugend? Hmm … in dem gut gemeinten Ratschlag stecken fünf gefährliche Irrtümer zu Geldanlagen. Und die nehmen wir jetzt auseinander.
Fangen wir vorne an:
„Mensch, mit der Erbschaft von Oma Herta willste mit Aktien experimentieren? Da wird doch immer so viel Jeld verjuxt.“
In Deutschland meinen noch immer viele Menschen, dass man mit Aktien leicht Geld verspielt – dass der Aktienmarkt nur mit Zockerei zu tun hat. Das liegt aber nicht daran, dass das wahr ist. Sondern wohl eher daran, dass die Medien diejenigen Geschichten, in denen Menschen am Aktienmarkt schwere Fehler machen, gern ausführlich erzählen. Wenn’s dagegen ums kluge unaufgeregte Geldvermehren am Aktienmarkt geht, gibt’s weniger Berichte. Woran liegt das? Naja, stellen wir uns doch folgende Schlagzeile vor:
„Kluge Privatanlagerin erwirtschaftet
erfreuliches Vermögen am Aktienmarkt.“
Na? Eben, wenig Sensation. Wenn aber ein Unternehmen abschmiert oder der Aktienmarkt einbricht, kann man Schicksalsdramen erzählen, weinende Investoren zeigen oder arme Menschen, die ihr Erspartes verloren haben. Das knallt, da schaut man schadenfreudig zu, lehnt sich auf dem Sofa zurück und sagt:
„Schatz, siehste, das kann uns nicht passieren.
Wir haben unser Geld schön auf dem Sparbuch, da liegt es sicher.“
Das Problem: Das ist leider falsch. Wenn man sein Geld auf dem Sparbuch parkt, verliert man damit auf Dauer. Ganz langsam, unbemerkt, es tropft davon, man bekommt es kaum mit. Warum? Weil die Inflation immer das wegfrisst, was man an Zinsen dazu bekommt. Und zwischendrin gibt es immer wieder Extremjahre, in denen das Geld schlagartig Wert verliert: 1973, 1981 oder 2022 war das so – die Inflation war so hoch, dass das Geld deutlich mehr an Wert verlor, als man Zinsen dazu bekam. Auf Dauer führt das dazu, dass der Wert des Guthabens auf dem Sparbuch still und heimlich schrumpft.
Ich will nicht sagen, dass Aktien grundsätzlich das beste und immer ein einfaches Geschäft sind – und auch nicht, dass Sparbücher per se keinen Zweck haben. Im Gegenteil, ich habe selbst ein Sparbuch. Was ich sagen will: Mit Aktienfonds konnte man in den letzten Jahrzehnten relativ sicher gutes Geld verdienen, allen Crashs und Horrormeldungen zum Trotz. Mit dem Sparbuch dagegen hat das eigene Geld in derselben Zeit mit großer Sicherheit an Wert verloren.
Weiter zu Punkt 2:
„Kind, tu‘ Dich lieber mit Onkel Hans-Dieter und Dein Vetter Theo zusammen.“
Bei solchen Vorschlägen geht bei mir die finanzielle Warnlampe an und die Sirene heult „Alarm!“, denn es wird ein kapitaler Fehler gemacht: Emotionale verwandtschaftliche Beziehungen sollen mit geschäftlichem Interesse vermischt werden. Das kann katastrophal ausgehen, weil es ein Kerngebot für kluges Geldanlegen missachtet:
EMOTIONEN MÜSSEN RAUS!
Wir Menschen fällen unsere Entscheidungen in einer komplexen Mischung aus emotionalen und rationalen Kriterien. Die Emotion gibt dabei sehr häufig den Ton an. Nun gibt es in unserer immer komplizierteren modernen Welt eine wachsende Zahl Bereiche, in denen uns unsere uralten Emotionen in die Irre führen. Zwei typische Beispiele: Klimakrise und Geldanlage. Wir wissen, dass Flugreisen und Kreuzfahrtschiffe Mitverursacher eines Klima-Horrorszenarios sind – viele steigen dennoch immer wieder ein, weil es sich gut anfühlt, ins Warme zu reisen und „Urlaub wie immer“ zu machen. Beim Geld ist emotionale Bewertung von Anlagen ebenso gefährlich. Viele verlassen sich dennoch auf Bauchgefühle oder folgen dem Herdentrieb, weil man der emotionalen Regung „die werden schon recht haben“ folgt. Stattdessen sollte man eine Geldanlage durchdenken, sich verlässliche Informationen besorgen, diese mit kühlem Kopf abwägen und dann eine Entscheidung treffen, bei der man die Gefühle möglichst in den Hintergrund drängt.
Nur, wie soll das gelingen, wenn die Geschäftspartner Onkel und Vetter sind? Die beiden haben sich in den Kopf gesetzt, eine Pizzeria zu eröffnen, weil Hans-Dieter sein halbes Leben davon geträumt hat. Ich schaue mich derweil um und sehe, dass es in derselben Gegend schon drei Pizzerien gibt; sie sind seit Jahren bekannt und beliebt. Rational wäre jetzt, Hans-Dieter und Theo eine neue Strategie vorzuschlagen – zum Beispiel: „Lasst uns ein veganes Restaurant mit Lieferdienst machen. Der Verzicht auf tierische Produkte wird immer beliebter, außerdem wollen die Leute von zuhause aus bestellen.“ Was passiert? Wir diskutieren, klar – nur: nicht rational, mit Abwägung der Fakten, sondern komplett emotional. Hans-Dieter nimmt wahr, dass ich seinen Traum zerstören will. Theo hasst das „Veganer-Getue“, weil es ihn an die Ökos in der Schule erinnert. Und ich möchte keinen Streit in der Familie. Ich gebe nach, wir eröffnen eine Pizzeria, die niemand braucht. Eine rational nicht begründbare rein emotionale Entscheidung, die leicht im Totalverlust endet.
Es heißt oft: „Man darf Freundschaft und Geschäft nicht vermischen.“ Soweit würde ich gar nicht gehen. Worauf man aber achten muss, wenn man gemeinsam mit anderen Geschäfte machen will: Dass man mit ihnen immer komplett transparent und ehrlich alle Facetten des Geschäfts besprechen kann. Und: Dass man sich einig ist, dass die Emotionen bei zentralen Entscheidungen nicht am Steuer sitzen. Beides gelingt aber kaum, wenn am Projekt zudem der Familiensegen oder kostbare Freundschaften hängen.
Damit zu Fehler 3:
„Die wollen doch endlich mit ihrem eigenen Restaurant loslegen – das ist doch was Reelles.“
In ihrer scheinbaren Unschuld und Freundlichkeit drückt diese Aussage die zentrale Frage zu jeder Investition an die Wand:
Wie wahrscheinlich ist der Erfolg?
Wenn man die Frage ernsthaft beantwortet, würde man in 99 von 100 Fällen die Finger von einem Restaurant lassen. Kaum eine Branche hat so viel Konkurrenz wie die Gastwirtschaft. Es gibt an fast jeder Ecke Restaurants und Kneipen, von großen internationalen Ketten bis zu old school Eckkneipen. Jede einzelne ist etablierter und bekannter als ein neuer Laden. Dazu kommt jede private Küche – sie ist ebenfalls Wettbewerb für ein neues Restaurant. Menschen bekochen sich meistens selbst, verpflegen sich zuhause. Davon abzulassen und an einen neuen Ort zu gehen, um Dinge zu essen, die jemand Fremdes gekocht hat, erfordert viel Anziehungskraft. Die muss ein Restaurant erst einmal aufbauen.
Im Ausdruck „Das ist doch was Reelles“ ist das Problem zusammengefasst: Die Emotion gibt den Takt vor, Menschen neigen dazu, finanziellen Erfolg eher dort zu vermuten, wo sie ihn sich praktisch ausmalen können: Wenn ich mit Onkel Hans-Dieter und Vetter Theo einen Bartresen kaufe, eine Kücheneinrichtung, wenn wir Menüs drucken lassen und Besteck besorgen, dann wirkt das handfest, anfassbar, verstehbar. Ich kann mir Gäste, die dort sitzen werden, vorstellen. Daraus entsteht leicht der Glaube, der entsprechende Erfolg sei ebenso realistisch, anfassbar, greifbar. Wenn man dasselbe Geld dagegen in eine nachhaltige aber unpersönliche Finanzanlage steckt, wirkt das abstrakt. Und man ist eher bereit, letztere – vielleicht irrtümlich – für unsicherer zu halten.
Wir kommen zu Irrtum 4:
„Steigste da mit ein.“
In eine private Neugründung einzusteigen, erfordert meistens eine ordentliche Stange Geld. Es passiert selten, dass man gemeinsam mit Verwandten oder Freunden ein Geschäft gründet und mit 100 oder 1000 EUR auskommt. Meistens gibt es eine kleine Anzahl GründerInnen und die wenigen müssen jeweils eine Menge Kapital aufbringen. Wer ein Restaurant eröffnen will, braucht zwischen 400.000 und 500.000 EUR. Hans-Dieter, Theo und ich brauchen also jeweils rund 150.000 EUR. Nehmen wir an, ich habe von Oma Herta 50.000 EUR geerbt. Ich muss die fehlenden 100.000 EUR irgendwie auftreiben; vermutlich durch einen Kredit. Die beiden anderen auch. All dieses Geld – eigenes wie fremdes – stecken wir nun in eine einzige wackelige Geschäftsidee.
Wenn man sein gesamtes Geld in ein einziges Geschäft investiert, wird von „Klumpenbildung“ gesprochen: Das Geld ist in einem Bereich, in einer Branche, einer Kundengruppe, einer Region, einer Firma „zusammengeklumpt“. Wenn es jetzt in diesem Bereich wirtschaftliche Probleme gibt – was immer passieren kann –, verliert man auf einen Schlag eine Menge Geld. Gegen dieses Klumpenrisiko muss man sich bei Finanzanlagen immer absichern, indem man das Geld auf möglichst unterschiedliche Anlagen mit unterschiedlichen Risiken verteilt. Denn jede Firma, jedes Geschäft, jeder Konzern ist Risiken ausgesetzt – ganz gleich wie groß das Unternehmen ist.
Ich komme aus Braunschweig, meine gesamte Heimatregion lebt vom Volkswagen-Konzern. Sollte Volkswagen abschmieren, weil aktuelle oder künftige Chefs oder Chefinnen die Klimakrise kleinreden, an synthetische Kraftstoffe glauben, oder ihrer ökologischen Verantwortung nur halbherzig oder gar nicht nachkommen, während sich die Welt immer schneller weiterdreht, zerfällt meine Heimat. Das ist ein enormes Klumpenrisiko im östlichen Niedersachsen. Mein ganzes geerbtes Geld in eine Pizzeria mit Hans-Dieter und Theo zu stecken, ist ebenfalls so ein Klumpenrisiko. Wie oben gesagt, ist die Gastronomie ein knallhartes Geschäft, und ob unsere Pizzeria überhaupt eine Chance hat, scheint sehr ungewiss. Schnell sind die 50.000 EUR von Oma weg. Und ich habe dazu einen hohen Kredit aufgenommen, der mein ganzes weiteres Leben belastet.
Damit komme ich zu Irrtum 5:
„Der Hans-Dieter hat doch damals schon die Currywurstbude am Stadion gehabt, das lief doch auch wie geschnitten Brot!“
Ein beliebter Fehler bei Finanzanlagen besteht darin, aus der Vergangenheit auf die Zukunft zu schließen. Das passiert oft und sorgt immer wieder für Ärger. Nehmen wir Hans-Dieters Currywurstbude. Warum lief die denn so gut? Weil Hans-Dieter so ein smarter Geschäftsmann ist? Oder weil seine Bude am Stadion die einzige weit und breit ist? Klar, vielleicht ist Hans-Dieter wirklich ein Currywurstbuden-Genie – nur: Hilft ihm das auch, ein Pizzeria-Restaurant zu betreiben? Der Blick auf Vergangenes hilft oft nur sehr begrenzt bei der Aussicht auf Zukünftiges.
Das gilt auch für die ganz Großen. Viele Finanzfachleute sagen:
„Auf Dauer steigen Aktienkurse immer.“
Das ist eine steile These, aus zwei Gründen. Erstens, sie gilt für den Markt, aus dem sie stammt – den US-Aktienmarkt – für die vergangenen 100 Jahre. Aus Sicht eines Menschenlebens fühlt sich das zwar an wie die Ewigkeit. Dass es ein wackeliges Versprechen ist, wird aber klar, wenn wir uns im Vergleich den japanische Aktienleitindex Nikkei 225 ansehen. Der hatte sein bisheriges Allzeithoch Ende 1989. Dieses Hoch hat er seither nie wieder erreicht – das ist jetzt über 33 Jahre her, eine ganze Generation. Wenn man also zu einer Japanerin sagt: „Hey, Aktien steigen immer“, hat sie nur ein müdes Lächeln dafür übrig.
Der zweite Grund, warum die These ewig steigender Aktienkurse wackelt, ist zugleich die Motivation für diesen YouTube-Kanal. Wir drohen, in eine Zeit enormer Verwerfungen zu steuern. Wenn man sich aber Bestseller im Bereich Finanzen anguckt – beispielsweise „Das einzige Buch, das Du über Finanzen lesen solltest“ vom erfolgreichen Finanzfluss-YouTube-Kanal – wird deutlich, wie unreflektiert in der Finanzbranche mit der Weltlage umgegangen wird. In diesem Buch wird genau wie in vielen ähnlichen Ratgebern über Planungshorizonte von dreißig bis vierzig Jahren gesprochen. Wenn man jedoch in einschlägige Medien schaut und wissenschaftliche Studien liest, erfährt man immer wieder von den Kipppunkten in der Natur und in der Gesellschaft, deren Umschlagen alle unsere Systeme vor enorme Veränderungen stellt. Bei vielen ist das Kippen bereits passiert oder droht sehr bald.
Alternativ kann man sich auch die Kurven zu „The Great Acceleration“ ansehen. Sie zeigen, wie die Menschheit ihren Weltverbrauch in den vergangenen zwei bis drei Jahrzehnten so drastisch nach oben gefahren hat und immer weiter nach oben fährt, dass wir immer mehr massive Umbrüche erwarten müssen. Im genannten Finanzratgeber, einem Spiegel-Bestseller!, ist Nachhaltigkeit aber nicht mehr als eine bessere Fußnote, mit der man sich beschäftigen kann, wenn man denn möchte. Der Band erzeugt den Eindruck, eine kluge Finanzplanung über die kommenden 30 oder 40 Jahre könne genau so funktionieren wie in den extrem räuberischen letzten drei oder vier Jahrzehnten. Damit können wir aber überhaupt nicht mehr rechnen. Die traurige Ironie besteht vielmehr darin, dass es genau diese Art gedankenlose InvestorInnen sind, die durch ihre Anlageentscheidungen mit dafür sorgen, dass uns bald alles um die Ohren fliegt.
Meine erste Empfehlung beim Umgang mit Finanzleuten lautet daher: Wer heute Pläne für Finanzanlagen über mehrere Jahrzehnte vorschlägt, zugleich aber keine Notwendigkeit sieht, auf Anlagen im Bereich fossiler Brennstoffe unbedingt zu verzichten oder die genannten Kipppunkte auch nur wahrzunehmen, leidet unter einem bestürzenden irrationalen Realitätsverlust – ganz gleich wie abgeklärt und kenntnisreich die Person sich gibt.
Damit hätten wir die fünf Irrtümer behandelt:
- Aktienanlagen sind nicht automatisch riskante Experimente für Zocker – im Gegenteil.
- Gefühle sollte man aus seinen Anlageentscheidungen so gut es geht heraushalten.
- Nur weil eine Investition anfassbar oder reell erscheint, bietet sie nicht automatisch gute Anlagemöglichkeiten.
- Man muss das „Klumpenrisiko“ auf jeden Fall vermeiden – man darf nicht alle Eier in ein Körbchen legen. Stattdessen sollte man sein Geld breit auf verschiedene Anlagen streuen.
- Die Vergangenheit sagt uns wenig über die Zukunft. Gerade heute.
Wie man auf dieser Grundlage verschiedene Wege findet, sein Geld auf unterschiedliche nachhaltige Anlagen zu verteilen, behandelt das nächste Video, das ich spätestens Anfang Februar poste – im Video werde ich es dann auch verlinken.