Warum ist Nachhaltigkeit in unserem bestehenden Wirtschafts- und Finanzsystem eigentlich so schwierig? Und das hängt mit der „Letzten Generation“ zusammen? Mit diesen Verrückten, die sich auf der Straße ankleben?
Genau.
Nachhaltigkeit ist eigentlich ein Kinderspiel, möchte man denken – oder die ursprüngliche Idee ist es. Offenbar stammt die erste offizielle Definition von Nachhaltigkeit aus der Forstwirtschaft. 1713 sagte ein Herr Hans Carl von Carlowitz:
Innerhalb einer Periode darf nur so viel Holz geschlagen werden, wie im gleichen Zeitraum nachwachsen kann.
Ich denke mir einen See, an dem ein Fischer angelt. Er holt grade so viele Fische aus dem Wasser, dass die Fische weiter ihren Bestand halten — nachhalten – also insgesamt überleben können. Was den Vorteil hat, dass er dann auch künftig wieder an dem See angeln kann. Wunderbar! Wir haben einen nachhaltigen Fischer gefunden – und in den investieren wir jetzt – nachhaltig! Zu investieren bedeutet ja üblicherweise, dass man Leuten Geld gibt — in der Erwartung, dass diese einem später mehr Geld zurückgeben. Wir gehen also auf unseren Fischer zu und sagen zu ihm:
“Hey, Fischer. Hier, pass auf, Achtung, geile Idee: Ich gebe Dir Geld für ein zweites Boot und für zusätzliche Mitarbeiter. Dann könnt Ihr mehr Fische fangen, als Du zum Leben brauchst. Die verkaufst Du mit Profit weiter und wir beide werden reich.”
Jetzt gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder der Fischer sagt „Pbtbtbtbtbt“, weil er ein gutes Leben hat, keine Schulden will oder Investoren, die ihm reinreden. Oder der Fischer sagt: „Alter, geil, logo, lass machen!“ In dem Fall können wir also emsig losinvestieren. Nur – dann entsteht ja sofort ein Nachhaltigkeitsproblem, scheint mir: Wir sind ja davon ausgegangen, dass der Fischer bislang nur so viele Fische angelt, dass sich die Fischbestände immer wieder erholen. Wenn wir ihm jetzt Geld dafür geben, mehr zu angeln –- mit anderen Worten: wenn wir in sein Geschäft investieren –- muss er nicht nur sich selbst ernähren, sondern auch sein Team. Und er muss uns, seine InvestorInnen, bezahlen. Das geht aber nur, wenn er einen neuen Gedanken in seine Überlegungen mit aufnimmt:
“Na gut, falls die Fische hier nicht reichen, muss ich eben neue Fische aus dem nächsten See holen.”
Zack: Damit ist die Nachhaltigkeit dahin.
Der Ökonom David Harvey hat mal gesagt: „Der Kapitalismus findet für jedes Problem eine räumliche Lösung.“ Wenn es hier mit dem Geldverdienen nicht weiter geht, dann eben da hinten.
Jetzt kann man natürlich zu Recht fragen: Muss das denn so sein? Was wäre denn, wenn es zwischen striktem Eigenbedarf des Fischers einerseits und Leerangeln des Sees andererseits eine gute Zwischenlösung gäbe, bei der
1) Ich als Investor ordentlich verdiene,
2) der Fischer auch auf seine Kosten kommt und
3) die Fische sich immer wieder regenerieren können?
Dann kriegen wir doch alles unter einen Hut und haben ein schönes, nachhaltiges Investment?
An genau der Frage bin ich auch eine Weile hängen geblieben. Bis mir auffiel: Hier kommt unser System – der Kapitalismus – ins Spiel. Der Kapitalismus schickt einfach einen zweiten Angler mit weiteren Investoren vorbei. Und die stellen schlicht fest:
„Hah, die da, die lassen ja immer wieder Fische im See! Saubere Sache. Da investieren wir, da gehen wir rein, da realisieren wir Wachstum.“
Und das ist der Pferdefuß des Systems — in Bezug auf Nachhaltigkeit: Irgendjemand wird eben doch ausbeuten, was da ist: „Wenn Ihr’s nicht macht, weil Ihr so fein nachhaltig seid – na, dann machen wir’s.“ Denn irgendwo sitzt ja immer ein Investor oder eine Investorin, die sagen: „Hier, mein Geld soll auch mehr werden!“
Bis der See leer ist.
Bis das letzte Tier tot ist.
Bis der Regenwald abgeholzt ist.
Und dann gucken wir, wo wir uns als nächstes bedienen.
Stellt sich die Frage, wie der Mensch überhaupt auf die Idee kam, dass er sich überall bedienen darf und Nachhaltigkeit egal ist?
Solange Menschen auf begrenztem Raum leben und arbeiten, erkennen sie die Grenzen dieses Raumes an. Wenn ich genau eine Weidewiese habe, werde ich grade so viele Kühe oder Schafe darauf weiden lassen, dass das auf Dauer klappt. Aus alten Gemeinschaften gibt es Berichte, dass Menschen eigentlich sehr gut mit begrenzten Mitteln auskommen. Die Wirtschaft ist in dem Fall ein endlicher lokaler Kuchen. Sobald ich aber meine Einflusssphäre ausdehne und mir Zugriff auf mehr und weiter entfernte Ländereien verschaffe, ändert sich mein Denken – und zwar radikal.
Ich habe mir dafür einfach mal Diego ausgedacht — einen Europäer, vor gut 500 Jahren. Diego hat jahrelang in der Armee eines Königs das Kämpfen und Töten gelernt. Derzeit gibt es aber leider keine Kriege. Gelangweilt hängt er also in der Taverne ab — und hört dort Geschichten von abenteuerlustigen Männern, die in weit entfernten Erdteilen durch Raub und Mord ein Vermögen erworben haben. Das klingt doch super, denkt Diego, das mache ich auch. Als erstes braucht er Geld, um seinen Eroberungszug zu finanzieren. Ein eigenes Schiff hat er nicht. Also holt er sich Geld von “Risiko-Investoren” – ganz genau so, wie GründerInnen von Start-Up-Firmen das heute auch tun. Genau wie sie muss er sein Team vorstellen und den Investoren glaubhaft versichern, dass er den Raubzug hinbekommt. Dass er Soldat war und töten kann, macht ihn glaubwürdig bei den Investoren — er bekommt das Geld. Die Investoren sagen zu ihm:
“Diego, es ist uns völlig egal, was Ihr da am anderen Ende der Erde treibt. Hauptsache, Du bringst unser Geld zurück UND! einen schönen Zugewinn obendrauf. Denn andernfalls …”
Nun hat Diego hohe Schulden und die Drohungen seiner Investoren im Nacken. Er bricht also auf – gezwungen, Reichtum zu finden. Und so benimmt er sich dann auch, wenn ihm Menschen in den Weg treten. Aber er hat damit kein Problem – im Gegenteil: Die Erde erscheint unendlich groß und unvorstellbar reich. Und da ihm die Völker in den anderen Erdteilen fremdartig erscheinen, macht er einen einfachen Trick: Er nennt sie „Wilde“ oder „Eingeborene“ und muss sie dann nicht wie Menschen behandeln, sondern kann sie auch ausbeuten. Die katholische Kirche findet das okay, gemeinsam ist man sich einig, dass man diese Untermenschen einfach ausbeuten und zugleich auch noch missionieren kann.
Und jetzt kommt der entscheidende Punkt: Diego denkt sich: “Sensationell! Diese Ausbeutungszüge in der Ferne können wir ja quasi unendlich weitertreiben! Das fällt doch kaum auf, bei dieser riesigen Erde!“
Die Eroberungszüge sind eine riskante Angelegenheit – manchmal gehen Schiffe unter oder Eroberer finden in fernen Ländern den Tod. Aber Diego hat Glück, er kommt lebendig, mit einem Schiff voller Schätze und mit eroberten Ländereien zurück nach Europa. Er liebt seine neuen Schätze und die Dinge aus der Fremde. Und er zeigt sie seinen Freunden. Die staunen und wollen das auch alles haben! Also holt er sich neues Kapital und beginnt einen schwunghaften Handel. Und erfindet so nebenbei den nicht-nachhaltigen Kapitalismus: Geld von anderen Leuten vermehren und selbst reich werden, indem man weit weg reist und Gegenden ausbeutet, die sich nicht wehren können. Derweil wird es für immer mehr von Diegos Landsleuten selbstverständlich, auch Kaffee trinken zu können. Pfeffer essen zu können. Sklaven halten zu können. Tabak rauchen zu können. Schöne bunte Kleider tragen zu können. Mit dem Flugzeug verreisen zu können. Ein SUV fahren zu können.
Was ich sagen will: Mit dem Verbreiten des nicht-nachhaltigen Lebensstils in alle Teile unserer Gesellschaften haben wir bis heute nicht aufgehört. In meiner Kindheit kamen die ersten Armbanduhren mit eingebautem Taschenrechner auf den Markt. Die allerersten waren exotische, teure Statussymbole. Heute ist es für große Teile der Bevölkerung im globalen Norden völlig normal, eine Smartwatch zu besitzen — ein Produkt, das in Bezug auf Ressourcenaufwand jede Taschenrechneruhr lächerlich aussehen lässt. Wir nennen das Fortschritt und denken nicht weiter darüber nach. Aber der Planet zahlt den Preis — und der Kolonialismus geht weiter:
- Computerhersteller betreiben in China ökologisch und sozial desaströse Fabriken.
- Wertvolle Metalle werden in Südamerika unter schlimmen Bedingungen abgebaut.
- Ölkonzerne verwüsten in Afrika ganze Landstriche, um ihr Öl abzubauen und zu transportieren.
- Kaffee oder Schokolade werden unter unmenschlichen Bedingungen angebaut und produziert.
- Unser CO2-Ausstoß überflutet heute bereits ganze Landstriche im globalen Süden.
- Und so weiter, und so weiter.
Und derweil besitzen Menschen hierzulande Aktien dieser Firmen und erwarten nur eins: Die Rendite muss stimmen. Wir wollen Wachstum! Während im Hintergrund, in den Entscheidungen der Konzerne, unentwegt die koloniale Geisteshaltung den Ton angibt: Dort in der Ferne kann man’s machen, da merkt’s doch keiner.
Nur ist es aber leider so, dass wir nach 500 Jahren unentwegter Ausbeutung der Erde offenbar feststellen, dass in der Ferne nun eben doch näherrückt. Und dass wir — wenn wir nicht schnell und radikal umschalten – das Ende von quasi unendlich vermutlich Mitte dieses Jahrhunderts erreichen. Was für Diego unvorstellbar erschien, erleben wir jetzt überall – in den kommenden zwanzig bis dreißig Jahren. Es gibt seriöse Schätzungen, nach denen wir wir bis Mitte dieses Jahrhunderts durch unseren nicht-nachhaltigen Verbrauch und unseren Klimagasausstoß so viele natürliche Grenzen einreißen, dass sich irgendwann alles selbstverstärkend immer weiter verschlimmert, bis wir am Ende alle nur noch Kriege ums Überleben führen. Im Jahr 1972 hat das MIT diesen Zusammenbruch für etwa 2040 vorausgesagt. Aktuelle Untersuchungen zeigen, dass wir ziemlich gut im Fahrplan dieser Schätzungen liegen.
Ich werde 2040 noch keine 70 sein. Wenn es so weitergeht, erlebe ich den Untergang also wahrscheinlich komplett mit. Menschen in anderen Teilen der Erde – dort, wo auch der Kolonialismus schon hart zugeschlagen hat – sitzen in ihrem Zuhause mitten in der Umwelt- oder Kriegskatastrophe, schon heute. Beispielsweise im überfluteten Pakistan. Diejenigen hier bei uns, die dreißig oder siebzehn oder vier Jahre alt sind, können fest damit rechnen, dass ihr ganzes Leben von dieser Katastrophe gezeichnet sein wird. Manche von ihnen nennen sich deshalb — eben — “letzte Generation” und kleben sich aus Protest auf Straßen fest, weil sie sich schlicht nicht mehr anders zu helfen wissen. Denn: Bislang ist die Herbeiführung genau dieser Katastrophe ja noch immer das, was wir in unserer Gesellschaft ‘normal’ nennen – das Gegenteil von Nachhaltigkeit. Wir nennen es “Fortschritt” oder “Globalisierung” und halten es für unser Anrecht auf Wohlstand.
Dass Nachhaltigkeit in diesem System unglaublich schwierig ist, sagen die Unternehmen übrigens alle selbst. Es gibt einen typischen Satz dafür, den man überall immer wieder hört:
„Nachhaltigkeit, mein junger Padawan, kein Ziel es ist. Nein, Nachhaltigkeit eine Reise ist.“
Das klingt weise und irgendwie ‚Zen‘, aber ganz ehrlich? Das ist natürlich totaler Quatsch: Das Ziel Nachhaltigkeit kann man genau beschreiben, man kann sehr präzise klarmachen, wie das aussieht: Wir müssen so wirtschaften, dass wir dem Planeten nicht mehr wegnehmen, als dieser selbst schnell genug wieder herstellen kann. Und wir dürfen nicht mehr kaputtmachen, als der Planet selbst schnell genug wieder reparieren kann. Der Alnatura-Gründer Götz Rehn hat es so ausgedrückt:
„Wir Menschen sind wesentlicher Bestandteil eines großen Ganzen und ein Leben ist dann ein gutes Leben, wenn es uns gelingt, uns so einzubringen, dass dies nicht auf Kosten anderer geht. Niemand und nichts sollte unter uns leiden.”
Nur – kaum ein Unternehmen schafft das wirklich. Nicht mal diejenigen, die sich echte Mühe geben. Deswegen wird von „Der Reise“ geredet, weil viele wissen, dass echte Nachhaltigkeit für sie allzu oft ein Wunschtraum bleibt. Oder weil sie noch sehr lange brauchen werden, um da wirklich hinzukommen.
Aber damit hätten wir wohl die beiden Gründe beisammen, warum nachhaltige Investitionen heutzutage so schwierig sind: Erstens haben wir über Jahrhunderte ein System gebaut, das das Gegenteil von Nachhaltigkeit zu unserer völlig selbstverständlichen Normalität macht – es durchzieht unsere gesamte Gesellschaft. Und zweitens haben wir dabei den Kapitalismus und das Investieren derart ausgestaltet, dass es eigentlich immer das Gegenteil von Nachhaltigkeit anstrebt. Wenn man also ernsthaft nachhaltig investieren will, muss man sich schon sehr bemühen.
Moment mal. Hier wird die ganze Zeit von Investieren geredet, dabei fragt sich die Mehrheit der Leute hierzulande, wie sie jetzt im Winter ihr Gas bezahlen sollen … ist das hier nur für ein paar reiche Schnösel gedacht, oder was?
Guter Punkt. Nein – das hier ist für alle, auch für die, die keinen Cent übrig haben. Und warum das so ist, behandelt das nächste Video.